Geschichten aus dem Kleinwalsertal: Heidelbeer-Erinnerungen


„Heidelbeeren damals“

Beerensammeln, eine Aktivität, die mich stark an meine Kindheit erinnert.
Das Freizeitangebot in den Sommerferien der 60er war nicht so groß, deshalb suchten wir uns selbst etwas. Meist zu zweit stapften wir zum Waldrand und pflückten Heidelbeeren. Wir hatten unsere Plätzchen und freuten uns über jeden vollen Eimer. Natürlich wanderte so manche Beere direkt von der Hand in den Mund. Frei von jeder Sorge genossen wir die Beeren. Manches Mal waren wir unachtsam – der bereits gefüllte Eimer kippte im Gelände um, und die Beeren verschwanden zwischen den Büschen und Gräsern. Welch Ärger!

Natürlich entbrannte zwischen uns der Ehrgeiz – wer hat als erste den Eimer voll oder gar mehrere? Fanden wir dazwischen den einen oder anderen Pilz waren die Freude und der Stolz groß. Steinpilze und Pfifferlinge kannten wir, die nahmen wir mit nach Hause. Die wunderschönen Fliegenpilze mit ihrem leuchtenden Rot und den witzigen Punkten bestaunten wir.

Abgesehen davon, dass wir die Beeren zeitaufwändig und mühsam gesammelt hatten, wussten wir die Früchte des Waldes sehr zu schätzen. Zu Hause übergaben wir sie an die Mama, und diese bereitete sie in unterschiedlichen Variationen für uns zu. Den Heidelbeerkuchen liebten wir alle ganz besonders. Kein Mensch sprach damals vom Fuchsbandwurm, obwohl es ihn sicher auch schon gab. Damals wie heute nehmen wir beim Heidelbeersammeln den Wald wahr. Das geht gar nicht anders.

Die Plätze sind gerne abseits und ruhig. Heute kann man das neue Wort „Waldbaden“ dafür verwenden. Man hört den Wind, mal lauter mal leiser, er streicht durch die Büsche, um die Bäume, fährt uns in die Haare. Die Vögel singen, pfeifen und klopfen, die Insekten summen um einen herum, etwas weiter weg hört man das Plätschern eines Bächleins, in einer Senke sitzt die Wärme, hinter dem Baum zieht es.  Eine Geruchsvielfalt umschmeichelt die Nase – das Moos, natürlich der Pilzduft, die Beeren, die aufgeplatzt sind, die Tannennadeln und so vieles mehr. Gesprochen wurde und wird wenig, dafür ist auf dem Hin- bzw. Heimweg Zeit. Ansonsten Ruhe, wohltuende wunderbare Ruhe.

„Heidelbeeren heute“

Kaum ein Sommer vergeht, an dem ich nicht zum Beeren in den Wald gehe. Mein damaliges Plätzchen gibt es nicht mehr. Die Heidelbeerbüsche mussten weichen, es wurde Jungwald angepflanzt.  Ich habe neue Plätzchen gefunden. Dieses Jahr meint es die Schöpfung besonders gut, und es gibt Unmengen an Heidelbeeren. Wieder sitze ich da – übrigens damals wie heute ohne Hilfsmittel – und pflücke Beere um Beere.

Ein anderer Ort, doch die gleichen Empfindungen. Der Wald erzählt seine Geschichte, lässt mich fühlen, riechen, hören. Heute stört  mal ein Flugzeug am Himmel. Aber sonst – alles gleich. Nach wie vor lebt der Ehrgeiz in mir, schnellstmöglich den Eimer zu füllen (heute ist er mir doch tatsächlich wieder umgefallen).
Die Beere von der Hand in den Mund gibt es nach wie vor. Die verfärbten Hände und oftmals ein, meist mehrere Flecken an der Hose sind ebenfalls unverändert.

Über den Fuchsbandwurm macht man sich mehr Gedanken. Mit kleinen Veränderungen gibt es Lebensmomente, die sich über viele Jahre hinweg halten. Dies in einer Zeit, in der sich das Rad der Veränderung unaufhaltsam dreht. Welche kostbare Erinnerungen im Einklang mit dem Heute.

Erzählt von Christl Riezler